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Digitalisierung in der Medizintechnik:
Das Fundament für PLM und CAQ bleibt ERP
Es hat sich leider abgezeichnet – nach inflationärer und oftmals auch falscher Verwendung ist der Begriff „Digitalisierung“ immer mehr zum Modewort verkommen. Gerade Entscheider in kleinen und mittelständischen Unternehmen können damit allein nicht mehr viel anfangen. Was genau soll denn bitte digitalisiert werden? Die Antwort darauf ist doch meist sehr individuell. Sie bemisst sich am Unternehmen, den täglichen Prozessen und vor allem auch an der Branche. Erst durch die genaue Betrachtung entscheidet sich, was Digitalisierung im Speziellen bedeutet. Man nehme bspw. die Medizintechnik, eine Branche, auf die sich Aptean mit seinen Lösungen oxaion (ERP) und SYNCOS (MES, CAQ) schon seit Jahren konzentriert. Die Anforderungen und Regularien dort sind mittlerweile so komplex, dass sie sich ohne grundlegende Digitalisierung nicht mehr bewältigen lassen. Doch worauf kommt es an, wie startet man am besten? Was eignet sich als Fundament und woraus bestehen die einzelnen Säulen der Digitalisierung? Und wie gelingt es v. a. jungen und kleineren Medizintechnikunternehmen, von Anfang an den richtigen Weg einzuschlagen?
Die Medizintechnik ist nicht nur eine der am schnellsten wachsenden Branchen überhaupt, sie hat in den letzten Jahren auch einige grundlegende Veränderungen durchgemacht, welche sich maßgeblich aus der Einführung neuer Regularien und Richtlinien ergaben. 2016 wurde der internationale Standard für Qualitätsmanagementsysteme bei Herstellern von Medizinprodukten (ISO 13485:2016) nochmals angehoben. Die Validierungspflicht umfasst seitdem zusätzlich Software auf Produktions- und Dienstleistungsebene – also auch ERP-Systeme. Ein Jahr später folgten neue EU-Verordnungen zu Medizinprodukten (MDR, DIN EN ISO 13485 und IVDR). Daraus resultierten wiederum weitere Verpflichtungen, etwa in Bezug auf die Registrierung und Speicherung von Produktdaten in der europäischen Datenbank für Medizinprodukte EUDAMED.
Drei Bereiche, drei Lösungen
„Gerade KMU oder Start-ups, die im Begriff sind zu wachsen und gleichzeitig einem steigenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, fällt es schwer hier den Überblick zu bewahren und keine Fehler zu begehen“, weiß Jens Fröhlich aus zahlreichen ERP-Projekten bei Medizintechnikherstellern. Der Senior Program Manager, Medical Technology bei oxaion/Aptean Dach, rät gerade diesen Unternehmen: „Wer die vom Gesetzgeber geforderten Regularien einhalten und gleichzeitig smart und agil produzieren will, kann dies nur über eine grundlegende und vor allem durchgängige Digitalisierung seiner Geschäftsprozesse erreichen. Entscheidend ist von Anfang an das Fundament, von dem dann alle weiteren Digitalisierungsmaßnahmen ausgehen.“
Doch was bedeutet das im Einzelnen? „Die Prozesse in einem Medizintechnikunternehmen lassen sich grob in drei Bereiche unterteilen: Entwicklung, Qualitätsmanagement und „Tagesgeschäft“, wo v.a. die warenwirtschaftlichen und kaufmännischen Prozesse dazu gehören“, führt Branchenexperte Jens Fröhlich aus. „Steuerungselemente, welche die IT dafür vorsieht, sind PLM- und CAQ-Systeme sowie die ERP-Plattform, die neben ihren betriebs- und warenwirtschaftlichen auch integrative Aufgaben übernimmt. Mit seinen Stamm- und Bewegungsdaten bildet die ERP-Plattform ein stabiles Fundament für die weiteren Säulen PLM und CAQ. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass Daten nicht mehrfach vorhanden sind und Prozesse zwischen den Systemen nahtlos und übergreifend ablaufen können.“
ERP als zentrale Drehscheibe
Wer solch ein Haus bauen will, muss also die Priorität zuerst auf das Fundament legen. Die ERP-Plattform steuert vom ersten Angebot bis zur finalen Rechnungslegung sämtliche betriebswirtschaftlichen Prozesse eines Unternehmens. Andererseits liefert es aber auch die Stamm- und Bewegungsdaten für weitere wichtige Lösungen wie PLM und CAQ. Gestartet werden sollte also mit einer branchentauglichen ERP-Plattform, die bereits sämtliche für Medizintechnikunternehmen und deren Zulieferer erforderlichen Kernfunktionalitäten enthält. „Im besten Fall ist die Lösung schon vorkonfiguriert, vorqualifiziert und cloudfähig“, so der Tipp von Jens Fröhlich. Vorgaben aus der DIN EN ISO 13485:2016 oder der Medical Device Regulation (MDR) z.B. im Hinblick auf die Computer System Validierung (CSV) oder Unique Device Identification (UDI) lassen sich so von Anfang an vollumfänglich umsetzen.
Qualität managen durch nahtloses Zusammenspiel mit CAQ
Qualitätsprüfungen vom Einkauf über die Fertigung bis zur Fertigwarenprüfung sind in der Regel eng mit der ERP-Plattform verzahnt, daher sollte die nächste Priorität auf einem CAQ-System liegen. Hier werden spezielle Anforderungen auch das Reklamationsmanagement gestellt, da diese Abläufe besonders im Fokus der Gesetzgeber und Behörden stehen (z.B. CAPA). Der Trend geht deshalb dahin, eine ERP-Plattform zu wählen, die bereits über ein fest integriertes CAQ-System verfügt. Stamm- und Bewegungsdaten werden dann im ERP gepflegt und stehen in Echtzeit dem CAQ zur Verfügung. Ebenso werden relevante Informationen wie bspw. Kundenreklamationen nahtlos an die ERP-Plattform rückgemeldet. Anwender können so in Echtzeit bestimmte Daten aus dem ERP nutzen und diese auch wieder in das CAQ zurückspielen. „Gerade im Fall von Reklamationen ist es notwendig, dass Mitarbeiter auf alle notwendigen Informationen zugreifen können, um Reklamationen zu bewerten, die richtigen Maßnahmen abzuleiten und zu dokumentieren.“, erklärt Jens Fröhlich. Auch Stammdaten zu den Geschäftspartnern, Kunden und Lieferanten (mit Kontaktpersonen) können hierfür genutzt werden. Und wenn es im Nachgang um die Bewertung der einzelnen Belastungen geht, lassen sich auch Kostenstellen aus dem ERP-System einbinden. „Durch das nahtlose Zusammenspiel zwischen ERP und CAQ können all diese Prozesse effektiv geplant, gesteuert und in Echtzeit überwacht werden“, bringt es Jens Fröhlich auf den Punkt.
Daten weitergeben und exakt dokumentieren im PLM
Zu erhöhten Aufwänden kommt es auch im Bereich der Technischen Dokumentation sowie bei der Zulassung neuer Medizinprodukte. Oberstes Ziel der gesamten Branche bleibt es natürlich, neue Produkte zu entwickeln und diese möglichst ohne Zeiteinbußen am Markt zu lancieren. Viele Unternehmen arbeiten hier immer noch mit klassischen Dokumentablagen. „Der manuelle Aufwand etwa bei der Verwaltung und Versionierung der Dokumente wird für die Mitarbeiter schnell zur Herkulesaufgabe, zumal sich dabei häufig auch Fehler einschleichen“, weiß Jens Fröhlich. Besonders kleinere Unternehmen mit dünner Personaldecke gerieten hier immer wieder in Schwierigkeiten. „Damit sich die Mitarbeiter dort weiterhin auf ihre Kerntätigkeiten konzentrieren können, müssen diese täglichen Abläufe automatisiert und auf sichere, digitale Füße gestellt werden.“ Die zweite tragende Säule in der Medizintechnik ist deshalb ein leistungsfähiges PLM-System, das u.a. Dokumente sicher für Benannte Stellen bereitstellt.
Übergreifende UDI-Prozesse automatisiert steuern
Wie das Zusammenspiel der drei Lösungen in der Praxis aussehen kann, zeigt das Beispiel eines übergreifenden UDI-Prozesses: Die Basis ist die ERP-Plattform, wo u.a. die Artikelstammdaten hinterlegt sind. Je nach Zulassung werden dann weitere Informationen für bestimmte Datenbanken benötigt wie etwa EUDAMED oder GUDID. Als XML-Upload können sie dafür dann auch verwendet werden.
Sobald die Daten bspw. im Produktionsprozess vollständig zusammengetragen sind, wird eine UDI erzeugt und als Etikett dem jeweiligen Produkt zugeordnet. Die UDI wird damit zur Grundlage für die spätere Traceability und Nachverfolgung des Medizinproduktes.
Sind alle Voraussetzungen geschaffen, ist die nächste tragende Säule das CAQ-System: Beim Einkauf oder der Fertigung eines Medizinproduktes wird die UDI automatisch ermittelt und übernommen. Nachfolgend lassen sich daraus dann Prüfaufträge zur Qualitätskontrolle generieren. Auf CAQ-Seite wird zudem sichergestellt, dass die zu verwendenden Prüfmittel freigegeben sind oder das vorgegebene Prüfintervall eingehalten wird. So kann es bspw. nicht passieren, dass ein gesperrtes Prüfmittel zum Einsatz kommt. Etwaige Änderungen werden im CAQ dokumentiert und in Echtzeit an das ERP zurückgespielt. Bei Reklamationen dient die UDI auch zur Nachverfolgung sowie zur Einleitung von Sofortmaßnahmen mit abschließender Risikobewertung. „Auf diese Weise kann schnell entschieden werden, ob und welche Maßnahmen eingeleitet werden müssen“, erläutert Jens Fröhlich. „Muss etwa ein CAPA-Prozess angestoßen werden, werden auftretende Diskrepanzen, Abweichungen und Fehler systematisch untersucht und auf deren Basis Korrektur- sowie anschließende Vorbeugemaßnahmen durchgeführt.“
Die zweite tragende Säule in diesem Zusammenspiel ist dann das PLM-System für die Technische Dokumentation. Entwicklungs- und Zulassungsprozesse haben Einfluss auf die Einstufung der Artikel (z.B. Basis-UDI-DI, GTIN). Die Vorgaben für die Fertigung der Artikel liegen auf der ERP-Plattform, etwa in Form von Chargen- und Seriennummern oder Hersteller- und Verfallsdaten, die sich ebenfalls auf die UDI auswirken.
Änderungen an registrierten Medizinprodukten müssen systemseitig aktualisiert und dokumentiert werden, im besten Fall werden diese Informationen auch per XML an EUDAMED und GUDID übergeben.
Durch entsprechende Benutzerberechtigungen lassen sich Änderungen im Audit-Trail mit Zeitstempel systemseitig dokumentieren, mit electronic signature freigegeben und automatisiert ins CAQ übernehmen. Änderungen werden im CAQ ebenfalls dokumentiert und in Echtzeit an das ERP zurückgespielt. Für mehr Sicherheit gemäß den aktuellen Bestimmungen der FDA (CFR Title 21, part 11) halten moderne Lösungen auch hier die Funktion der electronic signature bereit.
Das Fazit von Jens Fröhlich: „Für Unternehmen wird es angesichts der neuen Herausforderungen zunehmend wichtiger, dass sie Ihre Prioritäten richtig setzen. Alle Anforderungen auf einmal umzusetzen, ist sicherlich schwierig, da es neben finanziellen, häufig auch an personellen Ressourcen mangelt. Wichtig ist allerdings, sich gleich zu Beginn einen branchenerfahrenen Digitalisierungspartner zu suchen, mit dem man die Potenziale gemeinsam ausloten kann. Auch erste, kleine Schritte können bereits große Veränderungen herbeiführen. Ausgangspunkt für alle Digitalisierungsmaßnahmen ist nach wie vor eine leistungsfähige ERP-Plattform, die vor- und nachgelagerte Systeme nahtlos integriert und auch über die entsprechenden Branchenfunktionalitäten verfügt.“
Jens Fröhlich,
Senior Program Manager
Medical Technology
„Mit seinen Stamm- und Bewegungsdaten bildet die ERP-Plattform ein stabiles Fundament für die tragenden Säulen PLM und CAQ. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass Daten nicht mehrfach vorhanden sind und Prozesse zwischen den Systemen nahtlos und übergreifend ablaufen können.“